(Arrhae)
Die Merkwürdigkeit, die Arrhae hatte ihren Posten verlassen lassen, war eigentlich mehr eine gute Neuigkeit. Der leitende Wissenschaftler, der das Team um die Tarnvorrichtung anführte, hatte ihr mitgeteilt, daß alle Untersuchungen abgeschlossen seien. Nun war die Riov am Zug, die sich zur Entscheidung für ihre folgenden Anweisungen viel Zeit genommen hatte.
Kurz nachdem sie die Brücke verlassen hatte, stand sie auch schon in dem großen Frachtraum, in dem unter größten Sicherheitsvorkehrungen die Tarnvorrichtung und alles dazugehörige, was sie von der Föderationsstation hatten bergen können, lagerte. Hier kamen nur hochrangige Offiziere, die in den vollen Umfang der letzten Mission eingeweiht gewesen waren, herein, ebenso wie die Wissenschaftler, die daran arbeiteten. Arrhae wollte nicht, daß dies einerseits die falschen Augen sahen noch das eventuell Sabotage ausgeführt wurde. Zwar war keinem bekannt, ob sie einen gut getarnten Tal’Shiar-Agenten an Bord hatten, doch es konnte auch nicht schaden, den Kreis der gut Eingeweihten möglichst klein zu halten. Von daher lohnte sich der massive Sicherheitsaufwand in diesem Teil des Schiffes.
Aufgeregt wie ein kleines Kind war der Wissenschaftler auf die Riov zugegangen, als sie den ersten Fuß in den Raum gesetzt hatte. Er wedelte förmlich mit einem Bericht herum, doch derartig überschwängliche Reaktionen mochte sie nicht sonderlich und begegnete ihm mit einer steinernen Mimik, bis er sich fasste und kurz und präzise eine Zusammenfassung formulierte. Anschließend überreichte er ihr das PADD und wartete gespannt, während sie darin las. In der Zwischenzeit versammelten sich immer mehr der Techniker und Wissenschaftler vor der Riov, als würden sie auf etwas warten. Und ihr Gefühl trog sie nicht, als der Chefingenieur der Aehallh den Raum betrat und hinter Arrhae Stellung bezog.
„Diese Ergebnisse sind sehr zufrieden stellend.“ Ein leises Raunen über das Lob ging durch die Menge. „Und die Tarnvorrichtung macht nach Ihren Berichten einen sehr guten Eindruck, trotz der offensichtlichen Mängel, die die lloann’galae noch nicht beseitigen konnte. Nach der Aussage unseres Chefingenieurs allerdings dürften diese Schwierigkeiten für uns keine Probleme darstellen.“ Sie legte eine kurze Pause ein, um ihren Worten die nötige Wirkung zu schenken und allen Anlass zu Spekulationen zu geben. „Wir werden dieses Stück feindlicher technischer ... Raffinesse in die Systeme der Aehallh integrieren.“ Sie hatte keineswegs vor, daß ihre eigene Tarnvorrichtung ausgetauscht wurde, sondern vielmehr ergänzt durch die der Föderation, denn immerhin hatte sie sich als bessere Abschirmung erwiesen als die der Aehallh – insofern sie einwandfrei funktionierte. Auch fehlte derzeit noch ein kompatibler Computercode, doch der Chefingenieur war der festen Überzeugung, daß dies das geringste Problem sei.
Jetzt hatte er Gelegenheit, das technische Talent seiner Abteilung von der besten Seite zu zeigen.
„Nun denn, machen Sie sich an die Arbeit, und bitte möglichst zügig.“ Arrhae hatte das Talent, selbst härteste Befehle wie Bitten klingen zu lassen und dennoch geschah genau das, was sie angeordnet hatte. Natürlich kam es dabei auch zu großen Teilen auf die Crew an, ob sie mit einem solchen Kommandostil zurecht kam – doch die Besatzung der Aehallh konnte damit umgehen, was Arrhae einiges an Kraft sparte.
„Und schmeißen Sie vorher die Techniker von der Basis raus!“ wandte sie sich noch kurz an den Chefingenieur, bevor sich dieser zurück an seinen Arbeitsplatz machte.
Die anderen Offiziere und Crewmember waren unterdessen voll damit beschäftigt, die entsprechenden Unterlagen für den Transport in den Maschinenraum vorzubereiten, ebenso wie die Apparatur selbst.
Der entsprechende Befehl war gegeben, nun konnte sich die Riov den täglichen Aufgaben ihres Postens widmen. Doch viel Gelegenheit für den Papierkram gab man ihr nicht, denn eine knappe Stunde nachdem sie sich in ihr Büro begeben hatte, klingelte jemand an der Tür. Taev bat um Einlass.
„Aefvadh, kommen Sie herein“, meinte sie und deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. Anhand seines Gesichtsausdrucks wusste sie, weshalb er gekommen war und es wurde auch langsam Zeit, daß sie den Grund für sein Anliegen erfuhr.
Doch anstatt es ihr offen zu sagen, reichte er ihr ein PADD, auf dem einige Daten bezüglich seiner Karriere vor seiner Versetzung zur Aehallh standen. Es handelte sich dabei insbesondere um seinen ersten Posten als Io’Saehne auf einem anderen Schiff, auf dem es während eines Außeneinsatzes zu einem tragischen Unfall gekommen war. Taev traf keine Schuld, dennoch machte er sich offenbar Vorwürfe. Was sie allerdings wunderte, war der Umstand, das er erst jetzt um eine Versetzung auf einen weniger verantwortungsvollen Posten bat. Sie hatte durchaus schon von Traumata gehört, die viele Jahre schlummerten, ehe sie sich bemerkbar machten. Doch meist gab es dafür schon im Vorfeld diverse subtile Anzeichen ... die sie vielleicht einfach nur nicht bemerkt hatte. Andererseits konnte man psychische Probleme in keine Schemata pressen.
Und so entschied sie sich, dem Antrag statt zu geben.
„Also gut, mit der offiziellen Aufnahme der Rekruten in die Crew werde ich Sie auf den Posten des Anetnen versetzen. Allerdings keinen Moment früher, da unser neuer Io’Saehne noch ein wenig Eingewöhnung braucht. Allerdings wird er von seinem Schicksal auch erst mit Ihrer Versetzung erfahren.“ Ein hintergründiges Lächeln über diese Prozedur erschien auf ihrem Gesicht und Taevs erwiderte es. Er erweckte den Eindruck, als sei ihm grad ein großer Stein vom Herzen gefallen, was sie angesichts der bald von ihm genommen werdenden Verantwortung nachvollziehen konnte.
„Ich danke Ihnen, Riov.“
„Ich hoffe doch sehr, daß ich weiterhin auf Ihre Dienste und Erfahrung zurückgreifen kann.“
„Natürlich. Immerhin fehlt meinem Nachfolger noch einiges für seine zukünftige Aufgabe.“ Und Arrhae nickte. Es passte ihr immer noch nicht so ganz, daß ein so junger Rihannsu auf diesen Posten versetzt werden sollte. Doch jemanden anders gab es nicht.
Kurzzeitig unterhielten sich noch beide über Terrh, Taev berichtete, was er ihm für eine Aufgabe erteilt und was für ein Gesicht er dazu gezogen hatte. Doch der Hintergrund war klar, Terrh musste lernen, auch scheinbar sinnlose Aufgaben mit viel Ruhe und Sorgfalt zu erledigen. Dinge, die man auf der Akademie nicht beigebracht bekam, sondern die man von seinen Lehrmeistern auf seinem ersten Posten zu schlucken kriegte. Und manchmal schmeckten solche Dinge widerlich, doch je bitterer die Medizin, desto mehr half sie.
Schließlich verabschiedete sich Taev, um auf die Brücke zurück zu kehren.
Nachdem der größte Stapel an Daten und Berichten sich von der rechten Seite ihres Schreibtisches auf die linke bewegt hatte, hielt sie die Zeit für gekommen, ihrer Crew ein wenig auf die Füße zu treten.
Auf der Brücke war es ruhig. Ael war mit Aldaris von dem Rundflug um die Aehallh längst zurückgekehrt und wies ihn derzeit in die Tücken der manuellen Steuerung eines Warbird Typ E ein, während ein Sicherheitsoffizier sich angeregt mit Ashro unterhielt und ihm die verschiedensten Spezifikationen der Systeme erklärte. Terrh dagegen saß an einer der seitlichen Konsolen, hinter ihm Taev und ein Taktikoffizier stehend, und ging einige Manöver durch, wobei er irgendwie frustriert aussah. Doch Arrhae ging auf nichts ein, hatte dagegen vor, den Neulingen eine kleine Vorführung zu liefern.
Die Anwesenden hatten sie längst wieder ihrer Arbeit zugewandt, nachdem sie das Eintreten der Riov mit einem kurzen Blick zur Kenntnis genommen hatten. Doch als sie die Stimme erhob, hatte sie die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen.
„Equatorium tr’Chrast, geben Sie volle Leistung auf die Manövrierdüsen, die Schildsysteme, die strukturelle Integrität und die Trägheitsdämpfung.“ Eine kurze Weile geschah nichts und als sie herum drehte, erkannte sie auch, weshalb. Offenbar war er erstaunt über diesen Befehl, kam ihm aber dann unverzüglich nach.
„Equatorium tr’Adun, bereiten Sie alles zum Abdocken vor!“ Auch ihm fuhr sichtlich der Schreck in die Glieder, doch er gehorchte.
„Soll ich die Station kontaktieren und um Abdockerlaubnis bitten?“ Arrhae lächelte und freute sich, daß trotz der Überraschung nichts Wichtiges vergessen wurde. Und sie gab ein Handzeichen, daß er es tun sollte. Kurz darauf lag die Abdockerlaubnis vor.
„Geben Sie Rückschub, Equatorium, schön langsam“, und Aldaris’ Finger huschten über die Konsole, gaben die entsprechenden Befehle ein. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Taev und Arrhae sagte, daß sie trotz der Trägheit, die sich bemerkbar machte und bei einem erfahrenen Warbirdpiloten nicht mehr auftauchte, zufrieden waren, als die Aehallh einige hundert Kilometer schließlich zum Stillstand kam.
„Brücke an Maschinenraum, sind Sie soweit?“
„Ie, rekkhai, es kann losgehen.“
„Equatorium tr’Lhoell, Sie haben auf der Konsole neben sich eine Konfiguration, die Ihnen unbekannt sein wird. Es handelt sich dabei um eine Tarnvorrichtung. Sehen Sie sich diese an und aktivieren Sie sie auf meinen Befehl.“
„Ie, Riov!“
Arrhae war stolz auf ihre Crew und wenn es etwas gab, was man ihr wirklich zugute rechnen konnte, dann war es ihre Effizienz und Loyalität.
„Tarnen Sie das Schiff!“
Einige Minuten geschah nichts, die Riov wollte ihr stilles Lob schon wieder zurück nehmen, als man einen leichten Energieanstieg zu hören glaubte und sich einige Anzeigen auf der Brücke änderten.
„Riov, die Station ruft uns.“
„Auf die Lautsprecher!“
„ChR Aehallh, hier ist Rhedhi aerrh’rihan. Ihre Tarnung scheint perfekt zu funktionieren.“
„Verfolgen Sie uns mit Ihren Sensoren, wir werden einen Stellungswechsel vollziehen!“
Mit der typischen Geste ließ sie von Ashro den Komkanal schließen.
„Equatorium tr’Adun, fliegen Sie uns auf die andere Seite der Station, Kurs 339.015!“
„Ie“, und langsam flog die Aehallh um die Station herum, nicht durch sie hindurch – das Risiko war noch zu groß, denn sollte hier plötzlich die Tarnung versagen, hatten sie ein gewaltiges Problem.
Nach einigen Minuten war das Manöver beendet und die Stationssensoren hatten wie erwartet die korrekte Position der Aehallh nicht feststellen können.
Insgesamt war Arrhae daher sehr zufrieden mit diesem kleinen Test – einerseits hatten die drei Neuen selbst einmal Hand an das Schiff gelegt und andererseits schien die Tarnung wirklich so gut zu laufen wie erhofft, und das kaum 13 Stunden nach Befehl des Einbaus. Und es gab nicht einmal Komplikationen mit der rihannischen der Aehallh.
Aldaris kümmerte sich zuletzt noch um das Andocken, Ashro und Terrh um das Runterfahren der Systeme zurück in den Nachtmodus. Damit war ihre erste Schicht hier vorüber, doch wie es schien, prickelte noch immer die Aufregung in ihnen, so daß sie die Brücke noch nicht verlassen wollten.
Arrhae allerdings beendete ihren Dienst ebenso wie Taev und übergab das Kommando an den ranghöchsten anwesenden Offizier – der Taktikoffizier, der Ashro eingewiesen hatte.
Den Rest des Abends ging die Riov ruhig an. Ndeian hatte sich für einige Besorgungen auf die Station begeben, so daß Arrhae allein in ihrem gemeinsamen Quartier war. Sie hatte sich bequeme Sachen angezogen und auf die Couch gelegt, wo sie ein gutes Buch bei einem Glas echten Kahli-Fals genoß.
Sie war mehr als zufrieden mit dem vergangenen Tag. Die Rekruten erwiesen sich als eine ausgezeichnete Wahl, schon heute an ihrem ersten Tag, und die Tarnung lief so gut, daß es beinah Misstrauen in ihr weckte.
Doch offenbar wollte ihr jemand einen Strich durch die Rechnung machen, als sie plötzlich einen furchtbar lauten Knall hörte, ganz in der Nähe.
Sofort ging der schiffsweite Alarm los und alle Sicherheitssysteme versetzten sich automatisch in vollen Betrieb, als die Riov aufsprang und zur Tür eilen wollte. Doch in diesem Augenblick gab es einen zweiten Knall, eine Explosion in unmittelbarer Nähe ihres Quartiers und die Druckwelle schleuderte sie mit einer gewaltigen Wucht an die gegenüberliegende Wand.
Als sie kurzzeitig die Augen öffnete, nahm sie das Chaos, welches um sie herum herrschte, nur wie durch einen dichten Schleier wahr. Ein Loch klaffte in der Wand zwischen ihrem Quartier und dem Gang, Flammen züngelten an dessen Rändern. Sie war vorübergehend taub und atmete schwer.
Sie lassen es also doch nicht auf sich sitzen, war ihr letzter, schwerer Gedanke, während sie aus ihrer sitzenden Position zur Seite kippte und es mit dem explodierenden Schmerz in ihrem Körper dunkel um ihren Geist wurde.
-tbc-