C
Chateya
Gast
(N'nhaeirhu)
=A= Ra'tleihfi =A=
Die Aktion, die die Jagd nach S'honth'arh tr’Baraoh eingeleitet hatte, war mehr als gut gelaufen. Man konnte sogar von perfekt sprechen und N'nhaeirhu war stolz darauf.
Dies war die Kategorie von Aufgabe, die ihr mit am besten lag, von der sie nicht wenig Ahnung hatte, konnte sie die Reaktionen der Betroffenen doch recht gut erahnen. Und es war die Kategorie, mit der sie selbst schmerzliche Bekanntschaft gemacht hatte, als sie das erste Mal nach Hause gekommen war.
Doch auch mit ihrer Arbeit der letzten Wochen konnte sie sehr zufrieden sein.
Sie hatte es geschafft, sich Ansehen zu verschaffen und Respekt, der bei vielen, die sie in den Nachrichten gesehen hatten, ein Funkeln latenter Angst in den Augen entstehen ließ. Dies hatte sie zwar nicht unbedingt erreichen wollen. Aber es war schon mal nicht schlecht, wenn man sie fürchtete – respektierte. Damit hatte sie sich einen Großteil von dem zurückgeholt, was sie vor zwei Jahren bei diesem verdammten Unfall hatte neben den Verlusten ihrer eigenen Leute einbüßen müssen. Und ihre Vorgesetzten konnten das nicht einfach ignorieren. Sie mussten sich jetzt endlich eingestehen, daß es mehr bedurfte, um sie klein zu kriegen. Wobei sie angenommen hatte, daß sie ihre Zähigkeit längst unter Beweis gestellt hatte.
Natürlich gab es auch einen Schandfleck in der ganzen Angelegenheit, der derzeit einen großen Teil ihrer Gedanken beanspruchte. Iregh. Einerseits hatte sie sich fest vorgenommen, auch ihn zur Verantwortung zu ziehen. Er würde seinem Schicksal nicht entkommen können und wenn es das Letzte wäre, was sie tun würde. Auf der anderen Seite vermisste sie ihn. Die gemeinsame Zeit hatte so gut getan und sie sehnte sich dahin zurück.
Doch sie verurteilte sich für diese Gedanken und kehrte ins Hier und Jetzt zurück.
Das Shuttle befand sich bereits im Anflug auf den Hangar in der Hauptstadt und in der kurzen Zeit, die sie unterwegs gewesen waren, würde sich einiges verändert haben.
Die Breaking News der verschiedenen Sender hatte sie bereits während des Fluges gesehen und ähnlich ging es sicher den meisten Anwesenden hier.
Nachdem die Landung erfolgt und die Kommandosoldaten ausgestiegen waren, folgten auch die drei Rihannsu, die bereits von Sicherheitswächtern in Empfang genommen waren.
„Ihre Leute haben gute Arbeit geleistet“, wandte sich N'nhaeirhu schließlich noch an Erie’Riov tr’Iawaain und bedankte sich bei ihm, bevor sie sich den Wächtern anschloß, um dafür zu sorgen, daß bei der Unterbringung auch alles nach Plan lief. Später, sobald die Blutschwinge einen neuen Auftrag bekommen würde und sie ihren Platz an Bord wieder einnahm, musste sie ohnehin die Leitung über die Ermittlung und Suche nach S'honth'arh abgeben, aber solange sie noch die Möglichkeit hatte, sich selbst darum zu kümmern, würde sie das auch tun. Und sie hatte bereits eine Strategie.
Man würde die drei zuvorkommend behandeln, schließlich waren sie tatsächlich keine Gefangenen. Aber sie gehörten auch zu der ganzen Sache, allein dadurch, daß sie Verwandte waren. Und die CIS beraumte für in einer Stunde ein Verhör aller drei Personen an. Sie wollte ihnen wenigstens ein bisschen Gelegenheit geben, über ihre Situation nachzudenken.
In der Zwischenzeit würde sie sich um eine andere, nicht minder wichtige Angelegenheit kümmern. Während der vergangenen Mission hatte eine Person an Bord nicht nur ihr gehörigen Ärger verschafft und nun galt es heraus zu finden, was man über Alidar tr’Aurata alles wissen konnte.
Und das Terminal in ihrem kleinen Büro gab einiges preis. Einst war er ein guter Agent gewesen, hatte sich offenbar nur leider in den falschen Bereichen seines Arbeitgebers umgesehen, was dazu führte, daß dieser ihn abservierte und zwar so, wie es für den Tal’Shiar üblich war – eiskalt, genau nach Plan, skrupellos und nahezu vollständig. Das einzige, was er ihm ließ, war sein Sohn und sein eigenes Leben. Selbst seiner Reputation wurde er beraubt, was ihn dazu brachte, daß er fast von vorn hatte anfangen müssen.
Seitdem hatten sich seine Ansichten um hundertachtzig Grad gedreht und er hatte so oft er konnte gegen den Geheimdienst gewettert, was ihm allerdings nur noch mehr Probleme einbrachte. Irgendwie kannte N'nhaeirhu das – sie hatte selbst einst eine solche Ansicht vertreten, bis sie mit einer gewissen Faszination eingesehen hatte, daß dieser Geheimdienst sein eigenes und das Überleben des Reiches auf eine sehr effiziente Art und Weise sicherte. Wenngleich er dabei einzelnes Leben ab und an als minderwertig erachtete. Aber was scherte es sie. Sie gehörte dazu, er nicht, wobei man eigentlich davon ausgegangen war, daß man ihm das unmissverständlich klar gemacht hatte.
Doch mit der Einmischung in N'nhaeirhus Aufgaben an Bord der Blutschwinge hatte er bewiesen, daß dem offenbar nicht so war und die CIS würde gewiss nicht vergessen, den Namen Alidar tr’Aurata während ihrer Anhörung zu erwähnen.
Viel mehr fand sie allerdings nicht, was wahrscheinlich auch besser so war. Es interessierte sie nicht wirklich, was er gefunden hatte, um sich auf diese Weise unbeliebt zu machen. Denn der Rest seines Lebenslaufes war mit einem höheren Code versehen, als das sie ihn offiziell hätte einsehen können.
Das einzige, was sie noch wusste, was sich allerdings auf ihre Schlussfolgerungen in Bezug auf die vergangene Mission stützte, war, daß er irgendwie eine besondere Verbindung zur Sektion 31 gehabt haben musste, so gut wie er sich damit auskannte.
Diese Informationen über ihn waren nicht reichlich, doch es genügte, ihr Bild von ihm zu vertiefen.
Kaum hatte sie ihren Gedanken zu Ende gebracht, machte sich jemand an der Tür bemerkbar, den sie daraufhin hereinbat. Es war ein junger Uhlan mit einer Nachricht für sie.
„Folgen Sie mir bitte!“ Freundlich aber bestimmt hatte er diese Worte an sie gerichtet und ließ damit keinen Zweifel, wer ihn schickte.
Die Anhörung begann unerwartet für sie, man hatte ihr keinen Termin gesagt, wann es los ging. Doch unvorbereitet war sie deswegen nicht. Sie hatte sich bereits einiges zurecht gelegt.
Als sie den Raum betrat, sammelte sie sich und war hochkonzentriert. In einer solchen Situation konnte viel auf dem Spiel stehen, wenngleich sie sich auf sicherer Seite fühlte. Dennoch konnte allein eine Frage alles ins Wanken geraten lassen.
Die Beleuchtung war gedämpft, nur vereinzelte kleine Lampen strahlten punktuell von den hohen Wänden und sollten sie irritieren. Derartige Prozesse waren letztlich auch ein Test für die Agenten selbst, ob sie verhörähnlichen Bedingungen, die Stress verursachten, standhalten konnten. Doch N'nhaeirhu hatte dies hier oft genug erlebt und blendete alles Unwichtige einfach aus.
Viel wichtiger waren die Anwesenden für sie. An dem langen schmalen Tisch ihr gegenüber saßen fünf Personen, eine weniger als Stühle da standen. Die letzte Person, der Leiter der Anhörung, stand vermutlich hinter ihr. Doch sie drehte sich nicht herum, nahm lediglich Haltung an und wartete geduldig.
Zwei der Gesichter, die sie vor sich hatte, waren ihr unbekannt. Doch die anderen drei kannte sie. Sie gehörten zu den Personen, die ihr wohl gesonnen waren, die sie für eine mehr als fähige Agentin hielten und die damals ihre Strafversetzung bedauert, sie jedoch leider nicht hatten verhindern können.
Und es waren auch jene Personen, die überglücklich waren, als sie erfahren hatten, daß sie bei der Jagd nach den Zal’pirtan nicht umgekommen war, sondern sich einen guten Platz auf dem Schiff eines mächtigen Hauses hatte ergattern können.
Zu N'nhaeirhus besonderen Freude gehörte sogar ihr Mentor zu der Gruppe der Anhörenden. Es war ein alter Rihannsu mit der Andeutung eines freundlichen Lächelns im Gesicht und dem Rang eines erie’Riov –doch sowohl das eine als auch das andere führte oft dazu, daß er unterschätzt wurde. Denn trotz dem er es augenscheinlich nicht sonderlich weit gebracht hatte in seinem Leben, hatte er nicht wenig Einfluß. Und in bestimmten Situationen konnte sein Lächeln eine Falle sein.
Was ihr noch auffiel war der Umstand, daß man offenbar darauf verzichtete, Frischlinge an der Anhörung teilhaben zu lassen. An sich war es nicht ungewöhnlich, wenn es geschah, wollte man den zukünftigen Agenten des Tal’Shiar zeigen, was alles zu ihrem Job später dazu gehören würde. Doch anscheinend war das, worum es hier gehen würde, zu brisant, als das es an die falschen Ohren kommen durfte.
Es war die erste Anhörung seit langem, genau genommen, seit der missglückten Mission vor zwei Jahren, die sie letztlich auf die Blutschwinge gebracht hatte. Doch an sich hatte sie das auch nicht wirklich vermisst. Und sie wusste, warum dem so war.
„Obgleich man im Normalfall recht wenig von Ihnen hört, war ihr Bericht diesmal ziemlich umfassend!“ Eine schneidende Stimme drang an ihr Ohr und sie hatte Recht behalten, der fehlende Rihannsu vorn am Tisch stand hinter ihr.
„Und man könnte den Eindruck gewinnen, daß Sie die Sektion 31 förmlich magisch anziehen!“ Erst jetzt trat er vor sie und blickte ihr ins Gesicht. Auch diesen Mann kannte sie, er hatte schon einige andere ihrer Anhörungen geleitet und sich dabei als jemanden zu erkennen gegeben, der sie nicht unbedingt mochte. Die Frage war nur, warum. Denn er kannte ihre volle Vergangenheit nicht, so wie auch keiner der anderen hier im Raum, und hatte damit keinen echten Grund der Abneigung. Vielleicht aber war es einfach nur fehlende Sympathie – so was sollte es tatsächlich geben. Vielleicht aber war er auch einfach nur neidisch, daß er ihr nie wirklich etwas anhängen konnte. Denn die letzte Anhörung vor zwei Jahren hatte jemand anders geführt. Vielleicht steckte ja System dahinter, ihn verlieren zu lassen. Dann war sein Ärger gegen sie nicht ganz unbegründet, da sie diejenige war, an der man dies alles aufhängte.
Nebenbei bemerkte sie das kleine silberne Dreieck an seinem Kragen, was ihn als einen enar’Riov auszeichnete. Dies bedeutete wiederum, daß er degradiert worden war. Und eigentlich wollte sie gar nicht wissen, weshalb.
„Aber kommen wir zum Eigentlichen.“
Angenehm überrascht stellte sie fest, daß seine Stimme nun etwas an Schärfe verloren hatte und er offenbar darauf aus war, die Wahrheit zu hören, und nicht sie reinzulegen.
Es dauerte seine Zeit, in der jeder einzelne Fakt ihres unfangreichen Berichtes durchgekaut wurde und sie selbst noch einmal dazu Stellung beziehen sollte. Auch das Thema des desertierten Leih Tal’Shiar Nviyn erie’Riov Iregh tr’Faltour wurde eingehend ausgekaut, wobei sie sich stellenweise arg zusammen nehmen musste, um sich weiter zu konzentrieren. Denn Müdigkeit zeigte sich langsam, war ihr letzter Schlaf doch wohl schon zu lange her. Und die Gedanken um Iregh waren sehr intensiv.
Schließlich jedoch näherten sie sich dem Ende, denn N'nhaeirhu beobachtete, wie der Schriftführer seine Datei schloß und alle Sitzenden zufrieden nickten.
Nur der enar’Riov stand noch neben ihr und sie gestattete es sich, zur Seite, ihm ins Gesicht zu blicken.
„Ich muß zugeben“, und eine längere Pause folgte, da es ihm offensichtlich nicht leicht fiel, diese Worte zu sagen, „ihr kleiner Auftritt heute Nachmittag hat mich durchaus beeindruckt. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, erie’Rin!“ Ein Funkeln blitzte in ihren Augen auf und mühsam musste sie sich ein Lächeln verkneifen. Hatte er seine Ansichten ihr gegenüber vielleicht etwas geändert?
Kurz darauf hatte er sich umgedreht und war gegangen, so wie die anderen Offiziere der Anhörung ebenfalls. Bis auf einen.
„Das war wirklich nicht schlecht“, erklang eine sanfte Stimme, wieder hinter ihr, und sie drehte sich herum und bemerkte ihren Mentor.
„Offensichtlich hat Sie der Dienst an Bord der Blutschwinge doch nicht einrosten lassen, wie ich befürchtet hatte.“
„Dort gibt es andere Aufgaben, aber gewisse Dinge vergisst man einfach nicht.“
„So wie die Pflege Ihres Stolzes!“ N'nhaeirhu verzog das Gesicht, denn er hatte einen wunden Punkt getroffen. Sie war längst nicht mehr so stolz wie damals, als es sie beinah Kopf und Kragen gekostet hätte. Doch ein Rest davon war noch vorhanden und er erinnerte sie damit daran, daß zuviel Stolz tödlich sein konnte.
„Kommen Sie“, er legte ihr einen Arm um die Schulter und geleitete sie hinaus auf den Gang, „ich denke, Sie haben etwas Ruhe nötig.“ Und er hielt ihr einen kleinen Codeschlüssel hin, der Eintritt in eine Wohnung hier in der Stadt. Der Tal’Shiar unterhielt etliche dieser Wohnungen für Agenten, die nicht in der Stadt, wo sich ihr Arbeitsplatz befand, ihren Erstwohnsitz hatten. Zwar wusste sie noch nicht, wo die Hochzeit stattfinden würde, doch Ra’tleihfi eignete sich ihres Erachtens nach bestens für ihre privaten Vorbereitungen. Und vielleicht würde sie auch noch anderweitig hier gebraucht werden. Daher nahm sie das Angebot an.
„Sie haben Ihr Wort gehalten und uns nicht enttäuscht. Machen Sie weiter so, N'nhaeirhu.“
Sie nickte, sie würde sich alle Mühe dazu geben.
„Jolan’tru.“
„Gute Nacht.“
Dann trennten sich die beiden Rihannsu.
Der Bericht der Anhörung erie’Rin N'nhaeirhu t’Sshionshas sowie N'nhaeirhus eigener über Alidar ging umgehend an das Hauptquartier der Galae Rihanna, wo das Kriegsgerichtsverfahren gegen den taktischen Berater demnächst eingeleitet werden würde. Und keinen dort wunderte es, dass auch der Tal'Shiar seine Finger im Spiel hatte.
Als N'nhaeirhu das Tal’Shiar-Hauptquartier endlich verließ, war es bereits später Abend, die Anhörung hatte sehr viel länger gedauert als gedacht. Und so machte sie sich ohne Umwege zu der Wohnung, die sie die nächsten Tage beziehen würde. Das bisschen Gepäck, was sie vom Schiff mitgenommen hatte, würde hoffentlich ausreichen für die Zeit des Landurlaubs. Und selbst wenn nicht, würde sich eine Möglichkeit finden lassen. Nur hatte sie derzeit wenig Lust, nach Hause zu fliegen.
Nach einem kurzen Fußweg durch eines der gehobeneren Viertel der Hauptstadt endlich angekommen, entledigte sie sich ihrer Uniform, ließ sich auf das weiche Sofa sinken und aktivierte den Nachrichtenschirm.
Während wahrscheinlich zum wiederholten Male die Bilder des Nachmittags gezeigt wurden, blätterte sie in dem Bericht über das Verhör der Familie s’Baraohs, was jemand anders durchgeführt hatte, und die Datenauswertung aus dem beschlagnahmten Material. Wie erwartet hatte dies alles nichts ergeben, die Familie wusste nichts von den Machenschaften ihres Anverwandten.
Doch das interessierte nicht.
Die Nachrichten hatten nicht gegeizt, das Thema auszuschlachten und den Bericht über die Festnahme der Familienmitglieder eines Verräters hoch- und runtergespielt – im gesamten Einflussbereich der Rihannsu. Und es würden auch gute Spionagesatelliten der Sternenflotte entlang der Neutralen Zone empfangen. N'nhaeirhu hatte dafür gesorgt, daß ihr Zielsubjekt auf jeden Fall diese Meldung sah und wusste, was mit seiner Familie geschehen würde. Und nach seinem Dosier, welches sie gelesen hatte, würde er reagieren, denn seine Familie bedeutete ihm etwas. Auf der anderen Seite war es verwunderlich, daß er sie deshalb schutzlos hier zurückgelassen hatte.
Sicher hatte sich N'nhaeirhu damit neue Feinde geschaffen, aber andererseits war der Prestigewert für den Geheimdienst und vor allem sie selbst nicht zu unterschätzen.
-tbc-
=A= Ra'tleihfi =A=
Die Aktion, die die Jagd nach S'honth'arh tr’Baraoh eingeleitet hatte, war mehr als gut gelaufen. Man konnte sogar von perfekt sprechen und N'nhaeirhu war stolz darauf.
Dies war die Kategorie von Aufgabe, die ihr mit am besten lag, von der sie nicht wenig Ahnung hatte, konnte sie die Reaktionen der Betroffenen doch recht gut erahnen. Und es war die Kategorie, mit der sie selbst schmerzliche Bekanntschaft gemacht hatte, als sie das erste Mal nach Hause gekommen war.
Doch auch mit ihrer Arbeit der letzten Wochen konnte sie sehr zufrieden sein.
Sie hatte es geschafft, sich Ansehen zu verschaffen und Respekt, der bei vielen, die sie in den Nachrichten gesehen hatten, ein Funkeln latenter Angst in den Augen entstehen ließ. Dies hatte sie zwar nicht unbedingt erreichen wollen. Aber es war schon mal nicht schlecht, wenn man sie fürchtete – respektierte. Damit hatte sie sich einen Großteil von dem zurückgeholt, was sie vor zwei Jahren bei diesem verdammten Unfall hatte neben den Verlusten ihrer eigenen Leute einbüßen müssen. Und ihre Vorgesetzten konnten das nicht einfach ignorieren. Sie mussten sich jetzt endlich eingestehen, daß es mehr bedurfte, um sie klein zu kriegen. Wobei sie angenommen hatte, daß sie ihre Zähigkeit längst unter Beweis gestellt hatte.
Natürlich gab es auch einen Schandfleck in der ganzen Angelegenheit, der derzeit einen großen Teil ihrer Gedanken beanspruchte. Iregh. Einerseits hatte sie sich fest vorgenommen, auch ihn zur Verantwortung zu ziehen. Er würde seinem Schicksal nicht entkommen können und wenn es das Letzte wäre, was sie tun würde. Auf der anderen Seite vermisste sie ihn. Die gemeinsame Zeit hatte so gut getan und sie sehnte sich dahin zurück.
Doch sie verurteilte sich für diese Gedanken und kehrte ins Hier und Jetzt zurück.
Das Shuttle befand sich bereits im Anflug auf den Hangar in der Hauptstadt und in der kurzen Zeit, die sie unterwegs gewesen waren, würde sich einiges verändert haben.
Die Breaking News der verschiedenen Sender hatte sie bereits während des Fluges gesehen und ähnlich ging es sicher den meisten Anwesenden hier.
Nachdem die Landung erfolgt und die Kommandosoldaten ausgestiegen waren, folgten auch die drei Rihannsu, die bereits von Sicherheitswächtern in Empfang genommen waren.
„Ihre Leute haben gute Arbeit geleistet“, wandte sich N'nhaeirhu schließlich noch an Erie’Riov tr’Iawaain und bedankte sich bei ihm, bevor sie sich den Wächtern anschloß, um dafür zu sorgen, daß bei der Unterbringung auch alles nach Plan lief. Später, sobald die Blutschwinge einen neuen Auftrag bekommen würde und sie ihren Platz an Bord wieder einnahm, musste sie ohnehin die Leitung über die Ermittlung und Suche nach S'honth'arh abgeben, aber solange sie noch die Möglichkeit hatte, sich selbst darum zu kümmern, würde sie das auch tun. Und sie hatte bereits eine Strategie.
Man würde die drei zuvorkommend behandeln, schließlich waren sie tatsächlich keine Gefangenen. Aber sie gehörten auch zu der ganzen Sache, allein dadurch, daß sie Verwandte waren. Und die CIS beraumte für in einer Stunde ein Verhör aller drei Personen an. Sie wollte ihnen wenigstens ein bisschen Gelegenheit geben, über ihre Situation nachzudenken.
In der Zwischenzeit würde sie sich um eine andere, nicht minder wichtige Angelegenheit kümmern. Während der vergangenen Mission hatte eine Person an Bord nicht nur ihr gehörigen Ärger verschafft und nun galt es heraus zu finden, was man über Alidar tr’Aurata alles wissen konnte.
Und das Terminal in ihrem kleinen Büro gab einiges preis. Einst war er ein guter Agent gewesen, hatte sich offenbar nur leider in den falschen Bereichen seines Arbeitgebers umgesehen, was dazu führte, daß dieser ihn abservierte und zwar so, wie es für den Tal’Shiar üblich war – eiskalt, genau nach Plan, skrupellos und nahezu vollständig. Das einzige, was er ihm ließ, war sein Sohn und sein eigenes Leben. Selbst seiner Reputation wurde er beraubt, was ihn dazu brachte, daß er fast von vorn hatte anfangen müssen.
Seitdem hatten sich seine Ansichten um hundertachtzig Grad gedreht und er hatte so oft er konnte gegen den Geheimdienst gewettert, was ihm allerdings nur noch mehr Probleme einbrachte. Irgendwie kannte N'nhaeirhu das – sie hatte selbst einst eine solche Ansicht vertreten, bis sie mit einer gewissen Faszination eingesehen hatte, daß dieser Geheimdienst sein eigenes und das Überleben des Reiches auf eine sehr effiziente Art und Weise sicherte. Wenngleich er dabei einzelnes Leben ab und an als minderwertig erachtete. Aber was scherte es sie. Sie gehörte dazu, er nicht, wobei man eigentlich davon ausgegangen war, daß man ihm das unmissverständlich klar gemacht hatte.
Doch mit der Einmischung in N'nhaeirhus Aufgaben an Bord der Blutschwinge hatte er bewiesen, daß dem offenbar nicht so war und die CIS würde gewiss nicht vergessen, den Namen Alidar tr’Aurata während ihrer Anhörung zu erwähnen.
Viel mehr fand sie allerdings nicht, was wahrscheinlich auch besser so war. Es interessierte sie nicht wirklich, was er gefunden hatte, um sich auf diese Weise unbeliebt zu machen. Denn der Rest seines Lebenslaufes war mit einem höheren Code versehen, als das sie ihn offiziell hätte einsehen können.
Das einzige, was sie noch wusste, was sich allerdings auf ihre Schlussfolgerungen in Bezug auf die vergangene Mission stützte, war, daß er irgendwie eine besondere Verbindung zur Sektion 31 gehabt haben musste, so gut wie er sich damit auskannte.
Diese Informationen über ihn waren nicht reichlich, doch es genügte, ihr Bild von ihm zu vertiefen.
Kaum hatte sie ihren Gedanken zu Ende gebracht, machte sich jemand an der Tür bemerkbar, den sie daraufhin hereinbat. Es war ein junger Uhlan mit einer Nachricht für sie.
„Folgen Sie mir bitte!“ Freundlich aber bestimmt hatte er diese Worte an sie gerichtet und ließ damit keinen Zweifel, wer ihn schickte.
Die Anhörung begann unerwartet für sie, man hatte ihr keinen Termin gesagt, wann es los ging. Doch unvorbereitet war sie deswegen nicht. Sie hatte sich bereits einiges zurecht gelegt.
Als sie den Raum betrat, sammelte sie sich und war hochkonzentriert. In einer solchen Situation konnte viel auf dem Spiel stehen, wenngleich sie sich auf sicherer Seite fühlte. Dennoch konnte allein eine Frage alles ins Wanken geraten lassen.
Die Beleuchtung war gedämpft, nur vereinzelte kleine Lampen strahlten punktuell von den hohen Wänden und sollten sie irritieren. Derartige Prozesse waren letztlich auch ein Test für die Agenten selbst, ob sie verhörähnlichen Bedingungen, die Stress verursachten, standhalten konnten. Doch N'nhaeirhu hatte dies hier oft genug erlebt und blendete alles Unwichtige einfach aus.
Viel wichtiger waren die Anwesenden für sie. An dem langen schmalen Tisch ihr gegenüber saßen fünf Personen, eine weniger als Stühle da standen. Die letzte Person, der Leiter der Anhörung, stand vermutlich hinter ihr. Doch sie drehte sich nicht herum, nahm lediglich Haltung an und wartete geduldig.
Zwei der Gesichter, die sie vor sich hatte, waren ihr unbekannt. Doch die anderen drei kannte sie. Sie gehörten zu den Personen, die ihr wohl gesonnen waren, die sie für eine mehr als fähige Agentin hielten und die damals ihre Strafversetzung bedauert, sie jedoch leider nicht hatten verhindern können.
Und es waren auch jene Personen, die überglücklich waren, als sie erfahren hatten, daß sie bei der Jagd nach den Zal’pirtan nicht umgekommen war, sondern sich einen guten Platz auf dem Schiff eines mächtigen Hauses hatte ergattern können.
Zu N'nhaeirhus besonderen Freude gehörte sogar ihr Mentor zu der Gruppe der Anhörenden. Es war ein alter Rihannsu mit der Andeutung eines freundlichen Lächelns im Gesicht und dem Rang eines erie’Riov –doch sowohl das eine als auch das andere führte oft dazu, daß er unterschätzt wurde. Denn trotz dem er es augenscheinlich nicht sonderlich weit gebracht hatte in seinem Leben, hatte er nicht wenig Einfluß. Und in bestimmten Situationen konnte sein Lächeln eine Falle sein.
Was ihr noch auffiel war der Umstand, daß man offenbar darauf verzichtete, Frischlinge an der Anhörung teilhaben zu lassen. An sich war es nicht ungewöhnlich, wenn es geschah, wollte man den zukünftigen Agenten des Tal’Shiar zeigen, was alles zu ihrem Job später dazu gehören würde. Doch anscheinend war das, worum es hier gehen würde, zu brisant, als das es an die falschen Ohren kommen durfte.
Es war die erste Anhörung seit langem, genau genommen, seit der missglückten Mission vor zwei Jahren, die sie letztlich auf die Blutschwinge gebracht hatte. Doch an sich hatte sie das auch nicht wirklich vermisst. Und sie wusste, warum dem so war.
„Obgleich man im Normalfall recht wenig von Ihnen hört, war ihr Bericht diesmal ziemlich umfassend!“ Eine schneidende Stimme drang an ihr Ohr und sie hatte Recht behalten, der fehlende Rihannsu vorn am Tisch stand hinter ihr.
„Und man könnte den Eindruck gewinnen, daß Sie die Sektion 31 förmlich magisch anziehen!“ Erst jetzt trat er vor sie und blickte ihr ins Gesicht. Auch diesen Mann kannte sie, er hatte schon einige andere ihrer Anhörungen geleitet und sich dabei als jemanden zu erkennen gegeben, der sie nicht unbedingt mochte. Die Frage war nur, warum. Denn er kannte ihre volle Vergangenheit nicht, so wie auch keiner der anderen hier im Raum, und hatte damit keinen echten Grund der Abneigung. Vielleicht aber war es einfach nur fehlende Sympathie – so was sollte es tatsächlich geben. Vielleicht aber war er auch einfach nur neidisch, daß er ihr nie wirklich etwas anhängen konnte. Denn die letzte Anhörung vor zwei Jahren hatte jemand anders geführt. Vielleicht steckte ja System dahinter, ihn verlieren zu lassen. Dann war sein Ärger gegen sie nicht ganz unbegründet, da sie diejenige war, an der man dies alles aufhängte.
Nebenbei bemerkte sie das kleine silberne Dreieck an seinem Kragen, was ihn als einen enar’Riov auszeichnete. Dies bedeutete wiederum, daß er degradiert worden war. Und eigentlich wollte sie gar nicht wissen, weshalb.
„Aber kommen wir zum Eigentlichen.“
Angenehm überrascht stellte sie fest, daß seine Stimme nun etwas an Schärfe verloren hatte und er offenbar darauf aus war, die Wahrheit zu hören, und nicht sie reinzulegen.
Es dauerte seine Zeit, in der jeder einzelne Fakt ihres unfangreichen Berichtes durchgekaut wurde und sie selbst noch einmal dazu Stellung beziehen sollte. Auch das Thema des desertierten Leih Tal’Shiar Nviyn erie’Riov Iregh tr’Faltour wurde eingehend ausgekaut, wobei sie sich stellenweise arg zusammen nehmen musste, um sich weiter zu konzentrieren. Denn Müdigkeit zeigte sich langsam, war ihr letzter Schlaf doch wohl schon zu lange her. Und die Gedanken um Iregh waren sehr intensiv.
Schließlich jedoch näherten sie sich dem Ende, denn N'nhaeirhu beobachtete, wie der Schriftführer seine Datei schloß und alle Sitzenden zufrieden nickten.
Nur der enar’Riov stand noch neben ihr und sie gestattete es sich, zur Seite, ihm ins Gesicht zu blicken.
„Ich muß zugeben“, und eine längere Pause folgte, da es ihm offensichtlich nicht leicht fiel, diese Worte zu sagen, „ihr kleiner Auftritt heute Nachmittag hat mich durchaus beeindruckt. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, erie’Rin!“ Ein Funkeln blitzte in ihren Augen auf und mühsam musste sie sich ein Lächeln verkneifen. Hatte er seine Ansichten ihr gegenüber vielleicht etwas geändert?
Kurz darauf hatte er sich umgedreht und war gegangen, so wie die anderen Offiziere der Anhörung ebenfalls. Bis auf einen.
„Das war wirklich nicht schlecht“, erklang eine sanfte Stimme, wieder hinter ihr, und sie drehte sich herum und bemerkte ihren Mentor.
„Offensichtlich hat Sie der Dienst an Bord der Blutschwinge doch nicht einrosten lassen, wie ich befürchtet hatte.“
„Dort gibt es andere Aufgaben, aber gewisse Dinge vergisst man einfach nicht.“
„So wie die Pflege Ihres Stolzes!“ N'nhaeirhu verzog das Gesicht, denn er hatte einen wunden Punkt getroffen. Sie war längst nicht mehr so stolz wie damals, als es sie beinah Kopf und Kragen gekostet hätte. Doch ein Rest davon war noch vorhanden und er erinnerte sie damit daran, daß zuviel Stolz tödlich sein konnte.
„Kommen Sie“, er legte ihr einen Arm um die Schulter und geleitete sie hinaus auf den Gang, „ich denke, Sie haben etwas Ruhe nötig.“ Und er hielt ihr einen kleinen Codeschlüssel hin, der Eintritt in eine Wohnung hier in der Stadt. Der Tal’Shiar unterhielt etliche dieser Wohnungen für Agenten, die nicht in der Stadt, wo sich ihr Arbeitsplatz befand, ihren Erstwohnsitz hatten. Zwar wusste sie noch nicht, wo die Hochzeit stattfinden würde, doch Ra’tleihfi eignete sich ihres Erachtens nach bestens für ihre privaten Vorbereitungen. Und vielleicht würde sie auch noch anderweitig hier gebraucht werden. Daher nahm sie das Angebot an.
„Sie haben Ihr Wort gehalten und uns nicht enttäuscht. Machen Sie weiter so, N'nhaeirhu.“
Sie nickte, sie würde sich alle Mühe dazu geben.
„Jolan’tru.“
„Gute Nacht.“
Dann trennten sich die beiden Rihannsu.
Der Bericht der Anhörung erie’Rin N'nhaeirhu t’Sshionshas sowie N'nhaeirhus eigener über Alidar ging umgehend an das Hauptquartier der Galae Rihanna, wo das Kriegsgerichtsverfahren gegen den taktischen Berater demnächst eingeleitet werden würde. Und keinen dort wunderte es, dass auch der Tal'Shiar seine Finger im Spiel hatte.
Als N'nhaeirhu das Tal’Shiar-Hauptquartier endlich verließ, war es bereits später Abend, die Anhörung hatte sehr viel länger gedauert als gedacht. Und so machte sie sich ohne Umwege zu der Wohnung, die sie die nächsten Tage beziehen würde. Das bisschen Gepäck, was sie vom Schiff mitgenommen hatte, würde hoffentlich ausreichen für die Zeit des Landurlaubs. Und selbst wenn nicht, würde sich eine Möglichkeit finden lassen. Nur hatte sie derzeit wenig Lust, nach Hause zu fliegen.
Nach einem kurzen Fußweg durch eines der gehobeneren Viertel der Hauptstadt endlich angekommen, entledigte sie sich ihrer Uniform, ließ sich auf das weiche Sofa sinken und aktivierte den Nachrichtenschirm.
Während wahrscheinlich zum wiederholten Male die Bilder des Nachmittags gezeigt wurden, blätterte sie in dem Bericht über das Verhör der Familie s’Baraohs, was jemand anders durchgeführt hatte, und die Datenauswertung aus dem beschlagnahmten Material. Wie erwartet hatte dies alles nichts ergeben, die Familie wusste nichts von den Machenschaften ihres Anverwandten.
Doch das interessierte nicht.
Die Nachrichten hatten nicht gegeizt, das Thema auszuschlachten und den Bericht über die Festnahme der Familienmitglieder eines Verräters hoch- und runtergespielt – im gesamten Einflussbereich der Rihannsu. Und es würden auch gute Spionagesatelliten der Sternenflotte entlang der Neutralen Zone empfangen. N'nhaeirhu hatte dafür gesorgt, daß ihr Zielsubjekt auf jeden Fall diese Meldung sah und wusste, was mit seiner Familie geschehen würde. Und nach seinem Dosier, welches sie gelesen hatte, würde er reagieren, denn seine Familie bedeutete ihm etwas. Auf der anderen Seite war es verwunderlich, daß er sie deshalb schutzlos hier zurückgelassen hatte.
Sicher hatte sich N'nhaeirhu damit neue Feinde geschaffen, aber andererseits war der Prestigewert für den Geheimdienst und vor allem sie selbst nicht zu unterschätzen.
-tbc-