Ehae
= Krankenstation, mittags =
Nun war es soweit, eine Prüfung ganz besonderer Art lag vor Ehae.
N'nhaeirhu sollte das erste Mal seit längerer Zeit wieder etwas zu essen bekommen. Nach so langer Entwöhnung kam natürlich nur etwas ganz leichtes, ohne feste Bestandteile in Frage. Der Magen musste wieder an seine Arbeit gewöhnt werden. Dazu war eine herzhafte Gemüsebrühe genau das richtige. Nun hätte Ehae eigentlich nur das Glas mit dem Gemüsefonds aufschrauben zu brauchen und die ganze Angelegenheit hätte sich auf Wasser erhitzen und umrühren beschränkt.
Aber genau das tat Ehae nicht. Während ihre Lehrlinge mit der Mittagvorbereitung beschäftigt waren, und Ehae hatte sich vergewissert, dass keine Katastrophen zu erwarten waren, strapazierte sie den Replikator. Sie ließ sich diverse zarte junge Gemüse einfallen, die ihren Geschmack und die Vitamine an die Brühe abgeben sollten. Zarte Möhren, Kohlrabi, Blumenkohl, Erbsenschoten, Porree, Sellerie, halt alles, was man zu einer kräftigen Gemüsebrühe braucht. Alles wurde auf den Punkt genau gegart, so dass es nicht zu weich wurde, aus dem Topf gehoben und beiseite gestellt. Das Gemüse konnte noch für andere Gerichte verwendet werden.
Leckerer Duft lag in der Luft, als Ehae mit geschlossenen Augen vor ihrem Topf stand und tief in sich hineinlauschte und dabei einen Schluck der köstlichen Brühe aus der Probierschale schlürfte. Ein Feuerwerk an Geschmack ließ ihre Zunge vor Freude jauchzen und suggerierte ihr den Eindruck eines sonnendurchfluteten üppigen Gemüsegartens. „Perfekt“, meinte sie und stellte die Probierschale ab. Dann füllte sie eine Portion der Brühe in einen Thermophor. Nachdem sie noch einen Teller und einen Löffel auf das Tablett unter die Serviette gelegt hatte, marschierte sie beschwingt los. Sie freute sich über diese Aufgabe und das Vertrauen, das in sie gesetzt wurde. Und irgendwie fühlte sie sich zu der kleinen CIS hingezogen, so als ob sie eine verwandte Seele wäre.
Ehae erreichte die Krankenstation, trat ein und begab sich zielstrebig zu dem abgetrennten Bereich, unterwegs den Anwesenden freundlich zunickend. Niemand hielt sie auf, es war also bekannt, was sie hier wollte.
Als sie die Tür zu N'nhaeirhus Raum passiert hatte, blieb sie erschrocken stehen. Sie hatte N'nhaeirhu lange vor ihrem Zusammenbruch das letzte Mal gesehen, da war sie noch zu den Mittwoch-Dinners erschienen, obwohl sie da schon anfing, herumzumäkeln. N'nhaeirhu war nie sehr kompakt, eher ausgesprochen zierlich, aber jetzt war sie nur noch Haut und Knochen, ein Anblick zum Erbarmen.
Llhran erhob sich von seinem Stuhl, er hatte seine Aufzeichnungen beendet, und wandte sich Ehae zu. Nachdem sie sich begrüßt hatten, stellte Ehae das Tablett ab.
„Ich habe eine Gemüsebrühe zubereitet, aus frischem Gemüse, mit Kräutern und Gewürzen abgeschmeckt, normal gesalzen, also keine Krankenhausbrühe. Die sollte sie eigentlich vertragen.“ erläuterte Ehae, wobei sie bemerkte, dass dem Psychologen offensichtlich das Wasser im Mund zusammenlief.
N'nhaeirhu hockte derweil teilnahmslos auf ihrem Bett, nichts ließ erkennen, dass sie Ehaes Erscheinen registriert hatte. Diese öffnete das Warmhaltegefäß und gab etwas Suppe auf den Teller, breitete die Serviette auf dem Tablett aus, faltete die Stützen auseinander, stellte den Teller drauf und legte den Löffel daneben. Dann stellte sie das Tablett aufs Bett und wandte sich an Llhran: „ Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, würde ich wieder gehen, Doktor.“
Llhran nickte und Ehae zog sich zurück, immer noch tief betroffen von dem unsäglichen Anblick, der ihr regelrecht in der Seele wehtat. Sie betete zu den Elementen, dass diese Frau wieder in Ordnung kommen möge, und sei es nur zu dem Zweck, eine Meisterköchin zur Weißglut zu bringen.
= Rikals Quartier, abends =
„Bin ich ein guter Kommandant?“
Ehae war überhaupt nicht überrascht, daß diese Frage von Rikal kam. Sie war überrascht, dass sie so früh kam, sie hätte ihm noch 5 oder 6 Tage bis zu dieser Erkenntnis gegeben. Doch nun stand die Frage im Raum und alles andere wurde bedeutungslos.
Wie beantwortet man eine solche Frage?
Ehae musste keinerlei Furcht vor irgendwelchen Konsequenzen für sich haben, dies waren private Unterredungen, die nicht überwacht wurden. Immerhin war dies das Quartier des Leih.
Nein, sie fürchtete sich vor den Konsequenzen, die das Gespräch für Rikal haben könnte. Ein Fall für den Psychologen war schließlich genug.
Behutsam, Ehae, mahnte sie sich.
„Ich habe heute N'nhaeirhu gesehen“, überging sie Rikals Frage, diese wohl im Hinterkopf behaltend. Die Antwort würde schon noch kommen, später.
Sie bemerkte die gelinde Verwunderung in Rikals Gesicht, Ausweichen war sonst nicht ihre Art, aber sie hatte seine Aufmerksamkeit.
„Sie sieht ziemlich mitgenommen aus. Ich habe ihr heute meine Meisterbrühe gebracht.“ Sie lachte leise. „Die weckt Tote auf. Ich würde mich wundern, wenn mir das hier nicht auch gelänge.“
Rikal lächelte. Na bitte, ein Anfang. dachte Ehae, solange er nicht aus seinen ziemlich depressiven Gedanken heraus ist, hat das Gespräch keinen Zweck.“
„Ich weiß. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, bleibt mir nichts verborgen, was auf diesem Schiff geschieht.“ antwortete er und fügte in Gedanken hinzu: Fast nichts.
„Das ist mir sehr wohl bewusst, Lord Rikal“, erwiderte Ehae mit einem leichten Schmunzeln, das verriet, dass sie den gedanklichen Nachsatz erraten hatte.
„Sie hat tatsächlich gewirkt, Ihre Brühe, Meisterin Ehae. N'nhaeirhu hat sie restlos verputzt.“
„Das freut mich sehr, das ist ein Zeichen, dass es wieder aufwärts geht. Aber wie konnte N'nhaeirhu nur in diesen Abgrund geraten?“
Ehaes unaufdringliches Interesse wirkte wohltuend. Jetzt hieß es eine Gratwanderung zwischen Offenheit und Bestreben um Aufklärung und andererseits Bewahrung von Geheimnissen zu bestehen.
Und Rikal begann zu erzählen, berichtete in nüchternen Worten mit fast unbeteiligt klingender Stimme, aber Ehae spürte die Emotionen, die im Hintergrund brodelten.
„N'nhaeirhu kam vor etwa 50 Jahren von außerhalb des Reiches nach ch’Rihan und wurde fast sofort als Spion verdächtigt, verhaftet und übel behandelt. Vor der Exekution bewahrte sie nur die Erkenntnis des Tal’Shiar, dass ihre Fähigkeiten zu wertvoll waren, um sie zu vergeuden und so wurde sie von ihnen rekrutiert.
Vor drei Jahren kreuzte sie den Kurs der Blutschwinge während einer Mission, die das Ziel hatte, einen Piratenstützpunkt ausfindig zu machen. Zufällig hatten wir es auf dieselben Piraten abgesehen. Während der Mission geriet N'nhaeirhus Schiff in einen Hinterhalt und wurde gnadenlos zusammengeschossen. Die Blutschwinge kam zu spät, und konnte nur noch einen Überlebenden retten.“
„N'nhaeirhu?“ fragte Ehae dazwischen. Rikal nickte und fuhr fort.
„Der Posten des CIS auf der Blutschwinge war kurz zuvor frei geworden und so bot ich ihr diese Stelle an. Ihr zweiter Auftrag war, einen Saboteur zu fassen, der unter anderem den früheren CIS auf dem Gewissen hatte. Sein Schreibtisch war explodiert und ihm flog seine Konsole um die Ohren. Sie hat den Saboteur erwischt, aber es hatte zu lange gedauert. N'nhaeirhus Nachlässigkeit hatte ein paar Besatzungsmitglieder das Leben gekostet. Ich kann es nicht ertragen, Besatzungsmitglieder zu verlieren, ich habe dabei immer das Gefühl, es stirbt ein Teil von mir. Ich nahm dieses Ereignis N'nhaeirhu sehr übel und beschloß, sie empfindlich zu bestrafen. Körperliche Züchtigung ist in der Galae nicht ungewöhnlich und es war auch nicht verboten. Ich glaube, ich habe damals überreagiert, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste ihr mit dieser Maßnahme Respekt einbläuen, ich glaubte meine Autorität in Gefahr. Das konnte ich nicht durchgehen lassen. Die Folgen dieser Aktion haben mich erschüttert, das gebe ich zu und es tat mir ehrlich leid, aber ich konnte mich einfach nicht bremsen, zu groß war meine Wut. Ich habe mich hinreißen lassen.“
„Das haben Sie in der Tat.“ Ehae unterbrach Rikals Rede, sie musste einfach einen Einwand loswerden.
„Wenn Sie sagen, dass es Ihnen wehtut, wenn Sie Besatzungsmitglieder verlieren, dann ehrt Sie das. Aber körperliche Züchtigung steht dieser Einstellung total entgegen. Das kann man eigentlich nur als Machtmissbrauch gegenüber Schutzbefohlenen, Ihren Untergebenen, bezeichnen. Für einen Vorgesetzten ist das schlichtweg eine Pflichtverletzung und letztendlich ist das kein positiver Charakterzug für einen Kommandanten.“ Ehae ging hart mit Rikal ins Gericht, so hatte noch keiner mit ihm gesprochen und es überlebt, aber er hatte es verdient, das sah er ein. Inzwischen sah er ziemlich geknickt aus und er tat Ehae leid. Doch jetzt begehrte er kurz auf: „Wissen Sie, Meisterin Ehae, dass das verdammt sehr nach Liberalismus klingt? Dafür könnten Sie mit dem Geheimdienst in Konflikt kommen, wenn die das spitzkriegen.“
„Das mag sein, Lord Rikal, Abkömmling eines bedeutenden Hauses, das sich des Liberalismus rühmt und damit Erfolg hat“, konterte Ehae.
Rikal zog den Kopf ein und sprach weiter: „Unerklärlicherweise hat mir N'nhaeirhu den Angriff auf ihr Leben vergeben. Ich versteh es jetzt noch nicht.“ Seine Stimme verlor sich in Gedanken, die ihn offensichtlich seit langem immer wieder beschäftigt hatten. „Wieso hat sie mir das vergeben, wo ich sie doch fast getötet habe?“
Sein Flüstern war kaum noch zu vernehmen und dann beherrschte Ruhe das Zimmer. Ganz sacht im Hintergrund waren die Geräusche des Schiffes zu vernehmen, die nur verschwanden, wenn alle Systeme ausgeschaltet waren – was nur geschah, wenn das Schiff starb.
Ehae beobachtete Rikal, störte ihn nicht in seinen Gedanken. Offenbar war er zu einer bedeutenden Erkenntnis gelangt.
Plötzlich sah er Ehae voll an.
„Und weiter?“ ermunterte sie ihn.
„Ganz allmählich und behutsam hat sich dann so eine Art Freundschaft zwischen uns entwickelt. Mir ist das völlig rätselhaft, aber es ist so. Da ich damals schon mit meiner jetzigen Frau zusammen war, ist auszuschließen, dass sie ausschließlich an mir interessiert war.
Seit N'nhaeirhu auf der Blutschwinge Dienst tat, hat sie mir und meiner Frau mehrmals das Leben gerettet. Das bedeutete, dass der Saboteur, den sie gefasst hatte, nicht allein gearbeitet hatte. Es stellte sich heraus, dass mein bester Freund es auf mein Leben und mein Schiff abgesehen hatte. N'nhaeirhu hatte den Fall zu guter letzt noch geklärt, aber dabei wäre sie fast getötet worden.“ Er überlegte kurz.
„Kurz zuvor war der Zwischenfall auf der Wasserwelt Parem. N'nhaeirhu wurde von Terroristen entführt und gequält, von denen sich einer als ein ehemaliger, abtrünniger Tal’Shiar-Agent entpuppte. Wir haben sie in letzter Sekunde vor der Exekution bewahrt, sie wollten N'nhaeirhu erschießen, als wir den Stützpunkt stürmten. Wir waren erleichtert, dass sie die üble Behandlung und ihre Verletzungen einfach wegzustecken schien. Dass sie ihren Peiniger in der Arrestzelle mit ihrem Katana köpfte, hielten wir nur für Streß abreagieren. Aber offensichtlich war das nur ein Signal, das uns auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom aufmerksam machen sollte. Der Psychologe hat es mir erklärt, wir hätten erkennen müssen, was sich da anbahnt, und wir, ihre Freunde, haben versagt. Ich fühle mich schuldig an dem, was danach geschah.“
„Lord Rikal, sehen Sie mich an.“ Ehae sprach Rikal behutsam an, er drohte abzugleiten in Schuldgefühlen. Ein zaghafter Blick kam aus einem bedrückten Gesicht. So durfte niemals jemand den Kommandanten sehen. Ehaes Pflicht war es, ihn wieder aufzurichten.
„Die Schuld an dem Vorfall kann und will ich Ihnen nicht abnehmen. Das ist etwas, mit dem Sie und Ihre Freunde fertig werden müssen. Ich rate Ihnen, holen Sie sich professionelle Hilfe.“
Ehae machte eine Pause, damit Rikal auch erfasste, was sie sagte. Sie spürte seine Aufmerksamkeit.
„Und nun zu Ihrer Frage, Lord Rikal tr’Drevoux.“ Sie benutzte die volle Anrede, um die Bedeutung des Folgenden zu unterstreichen. „Sie haben das Schiff mit den meisten erfolgreichen Missionen, mit den geringsten Verlusten. Sie haben die Loyalität ihrer Mannschaft und Sie haben Freunde, auf die Sie sich verlassen können. Wenn Sie es schaffen, Ihr Temperament zu zügeln und diese mittelalterlichen Sklavenzüchtigungen zu unterlassen, gibt es nur eine Antwort, die ich Ihnen ehrlichen Herzens geben kann: Ja, Lord Rikal, Sie sind ein guter Kommandant. Aber Sie müssen es N'nhaeirhu noch beweisen.“
= Krankenstation, mittags =
Nun war es soweit, eine Prüfung ganz besonderer Art lag vor Ehae.
N'nhaeirhu sollte das erste Mal seit längerer Zeit wieder etwas zu essen bekommen. Nach so langer Entwöhnung kam natürlich nur etwas ganz leichtes, ohne feste Bestandteile in Frage. Der Magen musste wieder an seine Arbeit gewöhnt werden. Dazu war eine herzhafte Gemüsebrühe genau das richtige. Nun hätte Ehae eigentlich nur das Glas mit dem Gemüsefonds aufschrauben zu brauchen und die ganze Angelegenheit hätte sich auf Wasser erhitzen und umrühren beschränkt.
Aber genau das tat Ehae nicht. Während ihre Lehrlinge mit der Mittagvorbereitung beschäftigt waren, und Ehae hatte sich vergewissert, dass keine Katastrophen zu erwarten waren, strapazierte sie den Replikator. Sie ließ sich diverse zarte junge Gemüse einfallen, die ihren Geschmack und die Vitamine an die Brühe abgeben sollten. Zarte Möhren, Kohlrabi, Blumenkohl, Erbsenschoten, Porree, Sellerie, halt alles, was man zu einer kräftigen Gemüsebrühe braucht. Alles wurde auf den Punkt genau gegart, so dass es nicht zu weich wurde, aus dem Topf gehoben und beiseite gestellt. Das Gemüse konnte noch für andere Gerichte verwendet werden.
Leckerer Duft lag in der Luft, als Ehae mit geschlossenen Augen vor ihrem Topf stand und tief in sich hineinlauschte und dabei einen Schluck der köstlichen Brühe aus der Probierschale schlürfte. Ein Feuerwerk an Geschmack ließ ihre Zunge vor Freude jauchzen und suggerierte ihr den Eindruck eines sonnendurchfluteten üppigen Gemüsegartens. „Perfekt“, meinte sie und stellte die Probierschale ab. Dann füllte sie eine Portion der Brühe in einen Thermophor. Nachdem sie noch einen Teller und einen Löffel auf das Tablett unter die Serviette gelegt hatte, marschierte sie beschwingt los. Sie freute sich über diese Aufgabe und das Vertrauen, das in sie gesetzt wurde. Und irgendwie fühlte sie sich zu der kleinen CIS hingezogen, so als ob sie eine verwandte Seele wäre.
Ehae erreichte die Krankenstation, trat ein und begab sich zielstrebig zu dem abgetrennten Bereich, unterwegs den Anwesenden freundlich zunickend. Niemand hielt sie auf, es war also bekannt, was sie hier wollte.
Als sie die Tür zu N'nhaeirhus Raum passiert hatte, blieb sie erschrocken stehen. Sie hatte N'nhaeirhu lange vor ihrem Zusammenbruch das letzte Mal gesehen, da war sie noch zu den Mittwoch-Dinners erschienen, obwohl sie da schon anfing, herumzumäkeln. N'nhaeirhu war nie sehr kompakt, eher ausgesprochen zierlich, aber jetzt war sie nur noch Haut und Knochen, ein Anblick zum Erbarmen.
Llhran erhob sich von seinem Stuhl, er hatte seine Aufzeichnungen beendet, und wandte sich Ehae zu. Nachdem sie sich begrüßt hatten, stellte Ehae das Tablett ab.
„Ich habe eine Gemüsebrühe zubereitet, aus frischem Gemüse, mit Kräutern und Gewürzen abgeschmeckt, normal gesalzen, also keine Krankenhausbrühe. Die sollte sie eigentlich vertragen.“ erläuterte Ehae, wobei sie bemerkte, dass dem Psychologen offensichtlich das Wasser im Mund zusammenlief.
N'nhaeirhu hockte derweil teilnahmslos auf ihrem Bett, nichts ließ erkennen, dass sie Ehaes Erscheinen registriert hatte. Diese öffnete das Warmhaltegefäß und gab etwas Suppe auf den Teller, breitete die Serviette auf dem Tablett aus, faltete die Stützen auseinander, stellte den Teller drauf und legte den Löffel daneben. Dann stellte sie das Tablett aufs Bett und wandte sich an Llhran: „ Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, würde ich wieder gehen, Doktor.“
Llhran nickte und Ehae zog sich zurück, immer noch tief betroffen von dem unsäglichen Anblick, der ihr regelrecht in der Seele wehtat. Sie betete zu den Elementen, dass diese Frau wieder in Ordnung kommen möge, und sei es nur zu dem Zweck, eine Meisterköchin zur Weißglut zu bringen.
= Rikals Quartier, abends =
„Bin ich ein guter Kommandant?“
Ehae war überhaupt nicht überrascht, daß diese Frage von Rikal kam. Sie war überrascht, dass sie so früh kam, sie hätte ihm noch 5 oder 6 Tage bis zu dieser Erkenntnis gegeben. Doch nun stand die Frage im Raum und alles andere wurde bedeutungslos.
Wie beantwortet man eine solche Frage?
Ehae musste keinerlei Furcht vor irgendwelchen Konsequenzen für sich haben, dies waren private Unterredungen, die nicht überwacht wurden. Immerhin war dies das Quartier des Leih.
Nein, sie fürchtete sich vor den Konsequenzen, die das Gespräch für Rikal haben könnte. Ein Fall für den Psychologen war schließlich genug.
Behutsam, Ehae, mahnte sie sich.
„Ich habe heute N'nhaeirhu gesehen“, überging sie Rikals Frage, diese wohl im Hinterkopf behaltend. Die Antwort würde schon noch kommen, später.
Sie bemerkte die gelinde Verwunderung in Rikals Gesicht, Ausweichen war sonst nicht ihre Art, aber sie hatte seine Aufmerksamkeit.
„Sie sieht ziemlich mitgenommen aus. Ich habe ihr heute meine Meisterbrühe gebracht.“ Sie lachte leise. „Die weckt Tote auf. Ich würde mich wundern, wenn mir das hier nicht auch gelänge.“
Rikal lächelte. Na bitte, ein Anfang. dachte Ehae, solange er nicht aus seinen ziemlich depressiven Gedanken heraus ist, hat das Gespräch keinen Zweck.“
„Ich weiß. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, bleibt mir nichts verborgen, was auf diesem Schiff geschieht.“ antwortete er und fügte in Gedanken hinzu: Fast nichts.
„Das ist mir sehr wohl bewusst, Lord Rikal“, erwiderte Ehae mit einem leichten Schmunzeln, das verriet, dass sie den gedanklichen Nachsatz erraten hatte.
„Sie hat tatsächlich gewirkt, Ihre Brühe, Meisterin Ehae. N'nhaeirhu hat sie restlos verputzt.“
„Das freut mich sehr, das ist ein Zeichen, dass es wieder aufwärts geht. Aber wie konnte N'nhaeirhu nur in diesen Abgrund geraten?“
Ehaes unaufdringliches Interesse wirkte wohltuend. Jetzt hieß es eine Gratwanderung zwischen Offenheit und Bestreben um Aufklärung und andererseits Bewahrung von Geheimnissen zu bestehen.
Und Rikal begann zu erzählen, berichtete in nüchternen Worten mit fast unbeteiligt klingender Stimme, aber Ehae spürte die Emotionen, die im Hintergrund brodelten.
„N'nhaeirhu kam vor etwa 50 Jahren von außerhalb des Reiches nach ch’Rihan und wurde fast sofort als Spion verdächtigt, verhaftet und übel behandelt. Vor der Exekution bewahrte sie nur die Erkenntnis des Tal’Shiar, dass ihre Fähigkeiten zu wertvoll waren, um sie zu vergeuden und so wurde sie von ihnen rekrutiert.
Vor drei Jahren kreuzte sie den Kurs der Blutschwinge während einer Mission, die das Ziel hatte, einen Piratenstützpunkt ausfindig zu machen. Zufällig hatten wir es auf dieselben Piraten abgesehen. Während der Mission geriet N'nhaeirhus Schiff in einen Hinterhalt und wurde gnadenlos zusammengeschossen. Die Blutschwinge kam zu spät, und konnte nur noch einen Überlebenden retten.“
„N'nhaeirhu?“ fragte Ehae dazwischen. Rikal nickte und fuhr fort.
„Der Posten des CIS auf der Blutschwinge war kurz zuvor frei geworden und so bot ich ihr diese Stelle an. Ihr zweiter Auftrag war, einen Saboteur zu fassen, der unter anderem den früheren CIS auf dem Gewissen hatte. Sein Schreibtisch war explodiert und ihm flog seine Konsole um die Ohren. Sie hat den Saboteur erwischt, aber es hatte zu lange gedauert. N'nhaeirhus Nachlässigkeit hatte ein paar Besatzungsmitglieder das Leben gekostet. Ich kann es nicht ertragen, Besatzungsmitglieder zu verlieren, ich habe dabei immer das Gefühl, es stirbt ein Teil von mir. Ich nahm dieses Ereignis N'nhaeirhu sehr übel und beschloß, sie empfindlich zu bestrafen. Körperliche Züchtigung ist in der Galae nicht ungewöhnlich und es war auch nicht verboten. Ich glaube, ich habe damals überreagiert, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste ihr mit dieser Maßnahme Respekt einbläuen, ich glaubte meine Autorität in Gefahr. Das konnte ich nicht durchgehen lassen. Die Folgen dieser Aktion haben mich erschüttert, das gebe ich zu und es tat mir ehrlich leid, aber ich konnte mich einfach nicht bremsen, zu groß war meine Wut. Ich habe mich hinreißen lassen.“
„Das haben Sie in der Tat.“ Ehae unterbrach Rikals Rede, sie musste einfach einen Einwand loswerden.
„Wenn Sie sagen, dass es Ihnen wehtut, wenn Sie Besatzungsmitglieder verlieren, dann ehrt Sie das. Aber körperliche Züchtigung steht dieser Einstellung total entgegen. Das kann man eigentlich nur als Machtmissbrauch gegenüber Schutzbefohlenen, Ihren Untergebenen, bezeichnen. Für einen Vorgesetzten ist das schlichtweg eine Pflichtverletzung und letztendlich ist das kein positiver Charakterzug für einen Kommandanten.“ Ehae ging hart mit Rikal ins Gericht, so hatte noch keiner mit ihm gesprochen und es überlebt, aber er hatte es verdient, das sah er ein. Inzwischen sah er ziemlich geknickt aus und er tat Ehae leid. Doch jetzt begehrte er kurz auf: „Wissen Sie, Meisterin Ehae, dass das verdammt sehr nach Liberalismus klingt? Dafür könnten Sie mit dem Geheimdienst in Konflikt kommen, wenn die das spitzkriegen.“
„Das mag sein, Lord Rikal, Abkömmling eines bedeutenden Hauses, das sich des Liberalismus rühmt und damit Erfolg hat“, konterte Ehae.
Rikal zog den Kopf ein und sprach weiter: „Unerklärlicherweise hat mir N'nhaeirhu den Angriff auf ihr Leben vergeben. Ich versteh es jetzt noch nicht.“ Seine Stimme verlor sich in Gedanken, die ihn offensichtlich seit langem immer wieder beschäftigt hatten. „Wieso hat sie mir das vergeben, wo ich sie doch fast getötet habe?“
Sein Flüstern war kaum noch zu vernehmen und dann beherrschte Ruhe das Zimmer. Ganz sacht im Hintergrund waren die Geräusche des Schiffes zu vernehmen, die nur verschwanden, wenn alle Systeme ausgeschaltet waren – was nur geschah, wenn das Schiff starb.
Ehae beobachtete Rikal, störte ihn nicht in seinen Gedanken. Offenbar war er zu einer bedeutenden Erkenntnis gelangt.
Plötzlich sah er Ehae voll an.
„Und weiter?“ ermunterte sie ihn.
„Ganz allmählich und behutsam hat sich dann so eine Art Freundschaft zwischen uns entwickelt. Mir ist das völlig rätselhaft, aber es ist so. Da ich damals schon mit meiner jetzigen Frau zusammen war, ist auszuschließen, dass sie ausschließlich an mir interessiert war.
Seit N'nhaeirhu auf der Blutschwinge Dienst tat, hat sie mir und meiner Frau mehrmals das Leben gerettet. Das bedeutete, dass der Saboteur, den sie gefasst hatte, nicht allein gearbeitet hatte. Es stellte sich heraus, dass mein bester Freund es auf mein Leben und mein Schiff abgesehen hatte. N'nhaeirhu hatte den Fall zu guter letzt noch geklärt, aber dabei wäre sie fast getötet worden.“ Er überlegte kurz.
„Kurz zuvor war der Zwischenfall auf der Wasserwelt Parem. N'nhaeirhu wurde von Terroristen entführt und gequält, von denen sich einer als ein ehemaliger, abtrünniger Tal’Shiar-Agent entpuppte. Wir haben sie in letzter Sekunde vor der Exekution bewahrt, sie wollten N'nhaeirhu erschießen, als wir den Stützpunkt stürmten. Wir waren erleichtert, dass sie die üble Behandlung und ihre Verletzungen einfach wegzustecken schien. Dass sie ihren Peiniger in der Arrestzelle mit ihrem Katana köpfte, hielten wir nur für Streß abreagieren. Aber offensichtlich war das nur ein Signal, das uns auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom aufmerksam machen sollte. Der Psychologe hat es mir erklärt, wir hätten erkennen müssen, was sich da anbahnt, und wir, ihre Freunde, haben versagt. Ich fühle mich schuldig an dem, was danach geschah.“
„Lord Rikal, sehen Sie mich an.“ Ehae sprach Rikal behutsam an, er drohte abzugleiten in Schuldgefühlen. Ein zaghafter Blick kam aus einem bedrückten Gesicht. So durfte niemals jemand den Kommandanten sehen. Ehaes Pflicht war es, ihn wieder aufzurichten.
„Die Schuld an dem Vorfall kann und will ich Ihnen nicht abnehmen. Das ist etwas, mit dem Sie und Ihre Freunde fertig werden müssen. Ich rate Ihnen, holen Sie sich professionelle Hilfe.“
Ehae machte eine Pause, damit Rikal auch erfasste, was sie sagte. Sie spürte seine Aufmerksamkeit.
„Und nun zu Ihrer Frage, Lord Rikal tr’Drevoux.“ Sie benutzte die volle Anrede, um die Bedeutung des Folgenden zu unterstreichen. „Sie haben das Schiff mit den meisten erfolgreichen Missionen, mit den geringsten Verlusten. Sie haben die Loyalität ihrer Mannschaft und Sie haben Freunde, auf die Sie sich verlassen können. Wenn Sie es schaffen, Ihr Temperament zu zügeln und diese mittelalterlichen Sklavenzüchtigungen zu unterlassen, gibt es nur eine Antwort, die ich Ihnen ehrlichen Herzens geben kann: Ja, Lord Rikal, Sie sind ein guter Kommandant. Aber Sie müssen es N'nhaeirhu noch beweisen.“